Ich bin mit Prof. Varoufakis seit rund 4 Jahren bekannt.
Der Kontakt entstand dadurch, dass ich seinen Blog verfolgte und kommentierte
und umgekehrt er meinen Blog. In vielen Punkten vertreten wir gegensätzliche
Standpunkte und wir haben auch öfters die Klingen ganz ordentlich gekreuzt.
Seit ca. 1 Jahr hat sich jedoch so etwas wie gegenseitige Akzeptanz und Respekt
entwickelt. Die Kommunikation intensivierte sich und wurde sogar sehr
persönlich und privat. Varoufakis ersuchte mich um aktive Rückmeldungen, weil
das für ihn so etwas wie ein Spiegel sei, den er auch brauchte. Am Tag vor der
Wahl feuerte ich ein Kritik-Mail an ihn ab mit der Einleitung: „Ich hoffe, dass
wir auch nach diesem Mail noch befreundet sein werden!“ Er antwortete sofort
mit Dank für dieses offene Feedback bzw. für meine Warnungen. Er lud mich sogar
ein, nach Athen zu kommen.
Seit Wochen rate ich jenen wenigen Kontakten in
der Hochfinanz, die ich heute als Pensionist noch habe, dass sie alles
durchlesen sollten, was Varoufakis seit 2010 geschrieben hat. Ansonsten könnte
es ihnen so gehen, wie Finanzminister Pröll & Co., als die Bayern mit einer
professionell vorbereiteten Mannschaft antraten.
Viele geben sich jetzt überrascht, wenn nicht
sogar entsetzt ob des aggressiven Auftretens von Varoufakis. Gestern hat er der
Troika gekündigt und die EU wissen lassen, dass Griechenland gar keine neuen
Kredite mehr haben will. „We don’t want the 7 billion!“ sagte er der NYT. An
diesem Vorgehen ist absolut nichts überraschend, weil Varoufakis schon seit
Jahren diese seine Strategie erklärt hat.
Varoufakis hat schon 2010 den großen Irrtum
erkannt, dem die EU damals unterlag und auch heute noch unterliegt, nämlich:
dass es nur 2 Alternativen gibt. Einerseits ein Griechenland mit dem Euro und
mit Eurospielregeln und andererseits ein Griechenland, das sich nicht an die
Eurospielregeln halten will und daher zur Drachme zurückkehren muss. Das ist
wahrscheinlich der teuerste Irrtum in der Finanzgeschichte, genauso wie
verschiedene Aussagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel („Fällt Griechenland,
dann fällt der Euro und fällt der Euro, dann fällt die EU“; oder „Die
Rettungskredite für Griechenland sind alternativlos“) für die Steuerzahler noch
sehr teuer sein werden.
Der ‚dritte Weg‘ ist, dass Griechenland seine
Zahlungsunfähigkeit erklärt (Default), aber den Euro beibehält. Man hat
komplett übersehen, dass es in der Eurozone nicht verboten ist,
Zahlungsunfähigkeit anzumelden. Wenn Firmen Pleite gehen, dann verschwinden
sie. Ein Land kann nicht verschwinden.
Die herkömmliche Version ist, dass Griechenland im
Falle eines Defaults komplett zusammenbrechen würde beginnend mit dem
Bankensektor, der von der EZB nicht weiter finanziert werden würde. Der Staat
könnte seine Rechnungen nicht mehr bezahlen und müsste eine neue Landeswährung
drucken. Wer so denkt, hat sich Griechenlands Ziffern in letzter Zeit nicht
angesehen.
Ende November 2014 verzeichnete Griechenland einen
Primärüberschuss für die ersten 11 Monate von 3,9 Mrd. Für das ganze Jahr waren
über 4 Mrd. erwartet worden. Unter Primärüberschuss versteht man den Überschuss
an Steuereinnahmen, die verbleiben, nachdem der Staat alle seine Rechnungen
bezahlt hat (außer Zinsen). Anders ausgedrückt, bis Ende November schwamm der
griechische Staat buchstäblich in Geld vor Zinszahlungen. Die
Austeritätspolitik hat gut funktioniert! Auch für 2015 ist ein Primärüberschuss
budgetiert. Sollte also Griechenland seine Zahlungsunfähigkeit erklären, hätte
der Staat – ceteris paribus – trotzdem keine Probleme, seine Rechnungen zu
bezahlen. Die Betonung liegt auf ‚ceteris paribus‘.
Varoufakis geht also von einem relativ hohen
finanziellen Sicherheitspolster aus. Diesen wird er jedoch noch erhöhen, indem
Löhne und Pensionen top-down leicht reduziert werden (d. h. nur die
Besserverdiener werden belastet) und außerdem möchte er auch noch
Steueranleihen bei griechischen Sparern platzieren. Sollte das alles gelingen,
dann wäre Griechenland für die überschaubare Zukunft ausfinanziert. Die
Strategie klingt überzeugend und unterstreicht, dass Varoufakis ein weltweit
anerkannter Experte auf dem Gebiet der Game Theory ist.
Leider gibt es da für Varoufakis eine ganz winzige
Kleinigkeit, die in die Kategorie ‚ceteris paribus‘ fällt. Als sich im Dezember
abzeichnete, dass es zu Neuwahlen kommen würde, haben viele Griechen aufgehört,
ihre Steuern zu bezahlen. Warum sollten sie schon Steuern zahlen, wenn Alexis
Tsipras sie ohnehin abschaffen würde? Zusammen mit einigen anderen Faktoren
hatte dies zur Folge, dass es im Dezember im Primärsaldo plötzlich ein Minus
von 2,1 Mrd. gab (!). Nachdem der Jänner grundsätzlich kein guter Monat für
Steuereinnahmen ist und nachdem die Steuereinnahmen weiterhin sanken, ist
derzeit absolut nicht einzuschätzen, wie sich der Primärsaldo heuer entwickeln
wird. Außerdem kommt zu den budgetierten Ausgaben noch das angekündigte
Sofortprogramm für humanitäre Maßnahmen hinzu, das laut SYRIZA insgesamt 11
Mrd. kosten wird. Gegenfinanziert sollen diese Kosten mit neuen Steuereinnahmen
von 12 Mrd. werden, die von Steuerhinterziehern, Schmugglern und sonstigen
Parasiten Griechenlands kommen sollen. Ob diese neuen Einnahmen so schnell
kommen werden wie die neuen Ausgaben, ist fraglich.
Das derzeitige Troika-Programm läuft mit 28.
Februar aus und Varoufakis hat schon angekündigt, dass Griechenland keine
Verlängerung beantragen wird. Sollte die EZB ihre eindeutigen
Aussagen/Warnungen der letzten Wochen einhalten, dann wird der griechische
Bankensektor am 1. März illiquide sein. Varoufakis sieht das entspannt. Als
Experte der Game Theory ist er überzeugt, dass die EZB ihre Refinanzierung
aufrecht halten wird.
Was kann da eigentlich noch schiefgehen mit der
Strategie von Varoufakis? In Wirklichkeit gibt es da nur eine große Unbekannte,
die das ganze (Karten-) Haus zum Einsturz bringen könnte und das sind die
griechischen Sparer. Solange die griechischen Sparer durchhalten und solange
kein Bankenrun entsteht, hat Varoufakis gute Karten, zumindest um sehr harte
Verhandlungen über einen längeren Zeitraum zu führen. Und hart werden die
Verhandlungen mit Sicherheit werden. Varoufakis hat bereits angekündigt: „Bei
diesen Verhandlungen wird man nur erfolgreich sein können, wenn man bereit ist,
das ganze Haus zum Einsturz zu bringen. Wir sind dazu bereit!“
Originalveröffentlichung hier.
In der Tat kommen interessante Zeiten! Aber ich befürchte im Gegensatz zum Autor, dass die Taktik von Varoufakis sehr viel zu smart ist, um
AntwortenLöschen.
1. Von den Regierungen in der EU ernsthaft geprüft zu werden
2. von der linken griechischen Regierung insgesamt so umgesetzt werden kann, dass es funktioniert.
Varoufakis hat vor der Wahl extrem stark laviert, es sind unübersehbare Unterschiede in zentralen Aussagen zwischen seinen englischen und griechischen Blogtexten aufgefallen. Der smarte Professor dürfte ausserdem mangels politischer Erfahrung übersehen haben, dass durch die tendenziösen Medienberichte über sein Verhalten die Repräsentanten der EU ihr Gesicht verlieren würden, wenn sie sich auf solche Verhandlungen einliessen. (Und das wollten sie sowieso nicht, haben jetzt aber einen guten Vorwand im Voraus bekommen).
Zu obigem Pt. 2. möchte ich noch drei weitere Vermutungen anbringen:
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a) Die neue Regierung kann die Steuern um kein Jota weiter erhöhen
b) Die unglaubliche Halbierung des Primärüberschusses im Dezember dürfte m.E. darauf zurückzuführen sein, dass die früheren Angaben geschönt waren und Samaras angesichts des Regierungswechsels eine Taktik der verbrannten Erde eingeschlagen hat.
c) Die neue Regierung hat offiziell angekündigt, dass die ‘beiseite gestellten’ Staatsangestellen kurzfristig wieder angestellt werden.
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Selbst wenn jetzt in Griechenland kein Bankenrun aufkommt, wird die Regierung so innert kurzer Zeit illiquide sein. Das ist m.E. sowieso die sauberste Lösung des bisherigen Dilemmas.
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Es könnte durchaus sein, dass dies allein keinen Grexit nach sich zieht. Weil aber offensichtlich keine griechischen Regierung in der Lage ist, die jahrelang vermiedenen notwendigen Reformen kurzfristig nachzuholen wird nur die eigene Währung mit anschliessender Devaluation funktionieren.
H.Trickler