Dienstag, 20. Januar 2015

Je Ne Suis Pas Charlie

Nein, ich bin nicht ‚Charlie‘. Genau so wenig war ich ‚FOCUS‘, als dieses Magazin zu Beginn der Eurokrise die Aphrodite mit dem Stinkefinger auf die Titelseite brachte. Vielleicht ist es wegen meiner Erziehung vor 6 Jahrzehnten, dass man die Ehre und Würde eines Menschen nicht verletzen sollte; einen Menschen nicht demütigen sollte; oder - wie die Chinesen sagen -: einem Menschen nicht das Gesicht nehmen sollte. Oder vielleicht sind es die Erlebnisse im wirklichen Leben, die mich beeinflussen, mich nicht als Charlie zu fühlen.

Als nach dem 1. Weltkrieg ein ganzes Volk gedemütigt wurde, kam ein gewisser Adolf Hitler mit der Absicht, dem gedemütigten Volk wieder ein – wenn auch krankhaftes – Selbstwertgefühl zu vermitteln. Bei seiner Rede am überfüllten Heldenplatz hieß Hitler seine Heimat im Deutschen Reich willkommen; eine späte Revanche für die Demütigung des Ausschlusses aus diesem Reich seitens Bismarck. Drei Jahrzehnte später versammelte ein gewisser Karl Schranz eine ebenso große Menschenmenge, die sich auf die Seite eines gedemütigten Menschen und Landes stellte.

Der kürzlich verstorbene Grand Seigneur der österreichischen Finanz, Heinrich Treichl, sagte einmal in einem Interview: „Vor allem bin ich froh, nie von dieser österreichischen Krankheit, von diesem Minderwertigkeitskomplex, befallen gewesen zu sein“. Das spricht für die Ausnahmeerscheinung des Herrn Heinrich Treichl. Die breite Masse – nicht nur in Österreich! – würde dies jedoch anders sehen. Sie kämpft tagtäglich um ein gewisses Selbstwertgefühl; um das Gefühl, akzeptiert und anerkannt zu werden.

Wie fühlen sich Griechen, wenn sie die Aphrodite mit dem Stinkefinger sehen? Wie fühlen sich Muslime, wenn sie eine Karikatur sehen, wo die 3 getöteten Terroristen im Himmel ankommen und fragen, wo die 70 Jungfrauen sind, und als Antwort bekommen, dass diese Jungfrauen bereits an die 12 Todesopfer von Charlie vergeben sind?

Ich kann nur ahnen, wie sich derartig gedemütigte Menschen fühlen. Würde ich mich so fühlen, würde ich trotzdem nicht zu einer Kalaschnikow greifen. Aber das ist die Prägung meines Kulturkreises. Andere Kulturkreise vermitteln andere Prägungen.

1 Kommentar:

  1. Ihre Quintessenz, dass die Prägungen durch den Kulturkreis die Reaktion auf Kränkungen bestimmen, ist eine alte Binsenweisheit welche gerne vergessen oder unterdrückt wird. Dass jegliche Reaktion im gesetzlichem Rahmen bleiben muss, dürfte überall klar sein, aber die Gesetze sind eben in den muslimisch geprägten Ländern auch ganz anders.

    Ich habe mir schon bei den ersten Mohammed Karikaturen vor Jahren überlegt, warum eigentlich Satire sozusagen alles dürfen sollte?
    Natürlich haben wir zu Recht die Meinungsäusserungsfreiheit, welche sehr wertvoll ist aber auch nicht unbegrenzt gilt. Die mir bekannten westlichen Rechtssysteme kennen alle die strafrechtlichen Begriffe von Ehrverletzung und übler Nachrede, welche ebenfalls zu Recht gewisse öffentliche Äusserungen unter Strafe stellen.

    Weiter gilt in vielen westlichen Rechtssystemen die Maxime, das für öffentlich bekannte Personen die Schwelle der Verletzbarkeit höher liegen soll, was in vielen Fällen z.B. beim politischen Schlagabtausch auch nicht zu beanstanden ist.
    Es leuchtet mir aber überhaupt nicht ein, warum Religionsfüher nicht wenigstens einen Schutz ihrer Persönlichkeit wie andere öffentlich bekannte Persönlichkeit besitzen sollten?

    Auch wenn sie schon längere Zeit verstorben sind, sehe ich nicht ein warum sie zur Verleumdung, üblen Nachrede usw. vogelfrei sein sollten? Schliesslich gibt es auch Urteile, wo Nachkommen berühmter Verstorbener erfolgreich gegen solche Äusserungen vorgegangen sind, und es würde in unserer Zeit der hyperaktiven Gesetzestätigkeit m.E. die Objektivität in nützlicher Weise fördern.

    Auch bei Karikaturen über den christlichen Glauben hatte ich gelegentlich den Eindruck, dass ihre Aussage eigentlich ehrverletzend sei. Es ist immer ein grosser Unterschied, ob eine Karikatur ein bestimmtes Verhalten mit einem zwinkernden Auge ins Abseits stellt, oder mit dem Bleihammer den Betroffenen als verabscheuungswürdigen Charakter präsentiert.

    Aphrodite mit dem Stinkefinger wie auch die Muslime an der Himmelspforte können nach diesem Massstab durchgehen, auch wenn es für Nahestehende als Beleidigung aufgefasst werden kann. Mohammed mit einer Bombe unter dem Turban aber gar nicht, weil es nicht der Prophet selber ist, der heutzutage die Bomben wirft. Der Karikaturist müsste sich ein zutreffendes Bild überlegen, und eine genauere Darstellung wäre m.E. der Sache an sich (nämlich dem Verhältnis zu den friedfertigen Muslimen) und der Korrektheit förderlich.

    PS: Hat der Autor wirklich nach Mitternacht noch in die Tasten gehauen oder ist das ein Fehler des Systems ;) ?

    H.Trickler

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