Was ist dran an den Vorwürfen des US Präsidenten, dass sich der Rest der Welt seit Jahrzehnten an den USA bereichert hat?
Nach dem 2. Weltkrieg waren die USA viele Jahre lang das größte Herstellerland der Welt; nirgendwo sonst wurde soviel produziert wie in den USA. Infolgedessen verbuchten die USA bis Anfang der 1970er Jahre (mit nur ganz wenigen Unterbrechungen) jährliche Leistungsbilanzüberschüsse, d. h. die US Volkswirtschaft hatte außerhalb ihrer Grenzen mehr Einnahmen als Ausgaben. Es wurden Nettoauslandsvermögen aufgebaut, die 1981 ihren Höchststand von knapp 150 Mrd.USD (Zeitwert) erreichten. Während dieser Zeit waren die USA als Volkswirtschaft der größte Kreditgeber der Welt.
Anfang der 1970er Jahre drehte sich das Bild (Vietnam Krieg, Ölpreisschock, Gold-Dollar Entkoppelung) und die USA begannen, außerhalb ihrer Grenzen mehr Geld auszugeben, als sie dort Einnahmen hatten. Von 1971-2017 summierten sich die jährlichen US Leistungsbilanzdefizite in Zeitwerten auf 11.600 Mrd.USD (= 11,6 Billionen USD!) mit steigender Tendenz: in den letzten 3 Jahren lag der Jahresdurchschnitt des Leistungsbilanzdefizits bei 520 Mrd.USD! Das Nettoauslandsvermögen wurde verbraucht und heute sind die USA mit Nettoauslandsschulden von 8 Billionen USD das größte Schuldnerland der Welt.
Leistungsbilanzergebnisse und Nettoauslandsvermögen sind weltweit Nullsummenspiele: die Überschüsse/Defizite eines Landes haben idente Gegenpositionen im Rest der Welt. Relativ zum Rest der Welt sind also die USA seit 1971 um mehr als 8 Billionen USD (Zeitwerte) ärmer geworden bzw. der Rest der Welt ist relativ zu den USA um mehr als 8 Billionen USD reicher geworden. Die Schlussfolgerung, der Rest der Welt hätte sich an den USA bereichert, erscheint verlockend.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der zu berücksichtigen ist: wenn die USA von 1971-2017 insgesamt 11,6 Billionen USD (Zeitwerte) außerhalb ihrer Grenzen mehr ausgegeben als sie dort eingenommen haben, dann bedeutet dies, dass der Rest der Welt in diesem Zeitraum 11,6 Billionen USD mehr Einnahmen aus den USA erzielte als er dort ausgegeben hat. Man könnte dies auch als ein gigantisches grenzüberschreitendes Deficit-Spending seitens der USA zu Gunsten des Restes der Welt betrachten. Ohne dieses grenzüberschreitende Deficit-Spending seitens der USA wären Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand im Rest der Welt wesentlich geringer gewesen. Aus der Sicht des Geschäftsmannes Trump sollte der Rest der Welt zumindest dafür dankbar sein. Stattdessen ortet er im Rest der Welt Anti-Amerikanismus. Sein Geduldsfaden reißt und – nicht untypisch für einen Geschäftsmann – Gegenmaßnahmen werden angedroht.
Anders als beim Budget, wo eine Regierung Ausgaben konkret festlegen und Einnahmen relativ konkret prognostizieren kann, ist die Leistungsbilanz eines Landes nicht so leicht steuerbar. Sie ergibt sich aus unzähligen Handlungen von unzähligen „wirtschaftlichen Agenten“, die auf wirtschaftliche Rahmenbedingungen reagieren. In einer liberalen Wirtschaftsordnung kann der Konsument alle Produkte, die er will, dort kaufen, wo sie am besten und am günstigsten angeboten werden. Wenn der amerikanische Konsument einen Porsche haben möchte, dann muss er ihn in Deutschland kaufen. Wenn er Billigprodukte haben will, dann muss er sie größtenteils in Asien kaufen. Gewissermaßen hat der amerikanische Konsument von der „Verarmung“ der USA profitiert: er konnte quasi unbegrenzt Luxusautos in Deutschland und Billigprodukte in Asien kaufen. Anfang der 1970er Jahre sagte ein amerikanischer Kollege zu mir: „Wenn die Japaner 18 Stunden am Tag arbeiten wollen und damit zufrieden sind, dass wir ihnen für ihre Produkte Schuldscheine geben, dann soll mir das recht sein!“ Die Luxusautos in der Garage und die Billigprodukte im Warenhaus sind greifbar; die Nettoauslandsverschuldung ist es nicht. Sie ist für den Konsumenten und Bürger abstrakt.
Für die Volkswirtschaft insgesamt ist die Nettoauslandsverschuldung nicht ganz so abstrakt. Wenn eine Volkswirtschaft über Jahrzehnte hinweg grenzüberschreitend über ihre Verhältnisse lebt (Leistungsbilanzdefizite), dann wird früher oder später die Währung des Landes gegenüber anderen Währungen dramatisch an Wert verlieren. Zumindest in der Theorie. In der Praxis gilt das für den Dollar bestenfalls eingeschränkt, weil die USA das „exorbitant privilege“ (Valerie Giscard D’Estaing in den 1960er Jahren) genießen, die Währung, in der sie ihre Auslandsschulden haben, selbst drucken zu können und dass diese Währung auch die wichtigste Reservewährung der Welt ist. Der Anpassungsmechanismus des Wechselkurses hat also beim Dollar in den letzten Jahrzehnten nicht wirklich funktioniert.
Daraus hat sich in den letzten Jahrzehnten folgendes System (Zyniker nennen es das größte Pyramidenspiel der Geschichte) entwickelt: die US Volkswirtschaft lebte grenzüberschreitend weit über ihre Verhältnisse und verzeichnete Defizite mit dem Rest der Welt; der Rest der Welt häufte Überschüsse mit den USA in Dollar an und die Wall Street entwickelte die Anlageprodukte, um diese Dollar wieder in die USA zurückzuholen. An und für sich ein Spiel, bei dem alle zu gewinnen schienen. Nur halt ein System, das auf unbeschränkte Dauer nicht gut funktionieren kann, vor allem dann, wenn sich die Ungleichgewichte ständig in die gleiche Richtung verstärken: das Gläubigerland USA verschuldet sich immer mehr gegenüber dem Rest der Welt und der Rest der Welt erhöht in gleichem Ausmaß seine Forderungen an die USA. Die steigende Nettoverschuldung der USA erhöht die Zinsen/Dividenden, die die USA jährlich ins Ausland überweisen müssen und dies wiederum belastet die Leistungsbilanz. Ein Teufelskreis.
Hat sich nun der Rest der Welt an den USA bereichert?
Der Ausdruck „Bereicherung“ unterstellt, dass sich Dritte zu einer Art Verschwörung zusammengeschlossen haben, um die USA zu schädigen. Man kann sicherlich einzelnen Ländern vorwerfen, dass sie zeitweise Rahmenbedingungen geschaffen haben, die ihren jeweiligen Volkswirtschaften merkantilistische Vorteile verschafften (deutsche Lohnzurückhaltung, chinesische Währungspolitik, unterschiedliche Zölle und sonstige Handelsbarrieren). Man kann aber deutschen Unternehmen (und den Unternehmen anderer Länder) nicht vorwerfen, dass sie ihre Produkte dort verkaufen, wo sie Abnehmer finden. Solange die USA das „exorbitant privilege“ haben, grenzenlos im Ausland einkaufen zu können, wird es ausländische Unternehmen geben, die versuchen, grenzenlos in den USA zu verkaufen.
Der US Präsident hat in der Tat mit dem Thema Leistungsbilanzen einen wunden Punkt in der globalen Wirtschaftsordnung getroffen: die globalen Ungleichgewichte, die sich aufgrund der globalen Wirtschaftsordnung ergeben haben, können auf Dauer nicht unbeschränkt und einseitig weiterwachsen. Das Dogma des freien Handels mit Produkten und Dienstleistungen muss mit einer Fußnote versehen werden: globaler Freihandel muss über längere Zeiträume hinweg ausgeglichen sein, wenn er zu einer nachhaltigen Wohlstandsvermehrung führen soll. Es ist nicht wirklich verständlich, weshalb der Rest der Welt die Gefahr, die von diesen Ungleichgewichten ausgeht, nicht erkennen will. Massive Ungleichgewichte bei Leistungsbilanzen sind eine Gefahr für beide Seiten: für die Defizitler, weil sie sich immer mehr gegenüber dem Rest der Welt verschulden, aber auch für die Überschüssler, weil sie die Defizitler in immer größerem Ausmaß finanzieren müssen.
Als 1944 in Bretton Woods eine neue globale Währungsordnung geschaffen wurde, prallten 2 unterschiedliche Sichtweisen aufeinander und beide betrafen im Kern die Leistungsbilanzen. Der amerikanische Delegationsleiter Harry Dexter White wollte den USD als globale Ankerwährung und die USD/Gold-Koppelung sollte sicherstellen, dass es zu keinen Ungleichgewichten kommen würde. Natürlich sollte auf diese Weise auch die Dominanz der USA und des USD sichergestellt werden. Der britische Delegationsleiter John Maynard Keynes traute diesem System nicht, weil er befürchtete, dass die USA auf Dauer Ungleichgewichte nicht verhindern können würden. Der Vorschlag von Keynes war, eine neue Reservewährung („Bancor“) zu schaffen, die einen Automatismus für den Ausgleich von Überschüssen/Defiziten schaffen sollte. Damit wäre es nie zu einem „exorbitant privilege“ der USA gekommen. Durchgesetzt hat sich White und nicht Keynes.
Am 15. August 1971, keine 30 Jahre nach Bretton Woods, bekam Keynes posthum Recht: Präsident Nixon schockierte die Welt mit der Ankündigung, die USD/Gold-Koppelung aufzugeben und öffnete damit das Tor für ein massives Über-die-Verhältnisse-Leben der US Volkswirtschaft in den Folgejahrzehnten. Es hat sehr lange gedauert, bis jetzt ein amerikanischer Präsident erkannt hat, dass das massive Über-die-Verhältnisse-Leben der US Volkswirtschaft unvermeidlich zu einer „Bereicherung“ des Restes der Welt gegenüber den USA führen musste. Die damalige Wortwahl von Präsident Nixon in seiner Fernsehansprache erinnert sehr stark an die heutige Wortwahl von Präsident Trump („America first!“).
Alles deutet darauf hin, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. Allerdings nicht, weil mit Donald Trump ein unberechenbarer Präsident ins Weiße Haus eingezogen ist, sondern weil sich über die Jahrzehnte globale Ungleichgewichte zu Lasten der USA ergeben haben, die ein berechnender Präsident nicht mehr akzeptieren will. Die Frage ist, wie lange es dauern wird, bis ALLE erkennen, dass dies ein gemeinsames Problem ist, das nur gemeinsam erfolgreich gelöst werden kann. Möglicherweise nur mit einem Bretton Woods II.
Originalveröffentlichung hier.
Nach dem 2. Weltkrieg waren die USA viele Jahre lang das größte Herstellerland der Welt; nirgendwo sonst wurde soviel produziert wie in den USA. Infolgedessen verbuchten die USA bis Anfang der 1970er Jahre (mit nur ganz wenigen Unterbrechungen) jährliche Leistungsbilanzüberschüsse, d. h. die US Volkswirtschaft hatte außerhalb ihrer Grenzen mehr Einnahmen als Ausgaben. Es wurden Nettoauslandsvermögen aufgebaut, die 1981 ihren Höchststand von knapp 150 Mrd.USD (Zeitwert) erreichten. Während dieser Zeit waren die USA als Volkswirtschaft der größte Kreditgeber der Welt.
Anfang der 1970er Jahre drehte sich das Bild (Vietnam Krieg, Ölpreisschock, Gold-Dollar Entkoppelung) und die USA begannen, außerhalb ihrer Grenzen mehr Geld auszugeben, als sie dort Einnahmen hatten. Von 1971-2017 summierten sich die jährlichen US Leistungsbilanzdefizite in Zeitwerten auf 11.600 Mrd.USD (= 11,6 Billionen USD!) mit steigender Tendenz: in den letzten 3 Jahren lag der Jahresdurchschnitt des Leistungsbilanzdefizits bei 520 Mrd.USD! Das Nettoauslandsvermögen wurde verbraucht und heute sind die USA mit Nettoauslandsschulden von 8 Billionen USD das größte Schuldnerland der Welt.
Leistungsbilanzergebnisse und Nettoauslandsvermögen sind weltweit Nullsummenspiele: die Überschüsse/Defizite eines Landes haben idente Gegenpositionen im Rest der Welt. Relativ zum Rest der Welt sind also die USA seit 1971 um mehr als 8 Billionen USD (Zeitwerte) ärmer geworden bzw. der Rest der Welt ist relativ zu den USA um mehr als 8 Billionen USD reicher geworden. Die Schlussfolgerung, der Rest der Welt hätte sich an den USA bereichert, erscheint verlockend.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der zu berücksichtigen ist: wenn die USA von 1971-2017 insgesamt 11,6 Billionen USD (Zeitwerte) außerhalb ihrer Grenzen mehr ausgegeben als sie dort eingenommen haben, dann bedeutet dies, dass der Rest der Welt in diesem Zeitraum 11,6 Billionen USD mehr Einnahmen aus den USA erzielte als er dort ausgegeben hat. Man könnte dies auch als ein gigantisches grenzüberschreitendes Deficit-Spending seitens der USA zu Gunsten des Restes der Welt betrachten. Ohne dieses grenzüberschreitende Deficit-Spending seitens der USA wären Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand im Rest der Welt wesentlich geringer gewesen. Aus der Sicht des Geschäftsmannes Trump sollte der Rest der Welt zumindest dafür dankbar sein. Stattdessen ortet er im Rest der Welt Anti-Amerikanismus. Sein Geduldsfaden reißt und – nicht untypisch für einen Geschäftsmann – Gegenmaßnahmen werden angedroht.
Anders als beim Budget, wo eine Regierung Ausgaben konkret festlegen und Einnahmen relativ konkret prognostizieren kann, ist die Leistungsbilanz eines Landes nicht so leicht steuerbar. Sie ergibt sich aus unzähligen Handlungen von unzähligen „wirtschaftlichen Agenten“, die auf wirtschaftliche Rahmenbedingungen reagieren. In einer liberalen Wirtschaftsordnung kann der Konsument alle Produkte, die er will, dort kaufen, wo sie am besten und am günstigsten angeboten werden. Wenn der amerikanische Konsument einen Porsche haben möchte, dann muss er ihn in Deutschland kaufen. Wenn er Billigprodukte haben will, dann muss er sie größtenteils in Asien kaufen. Gewissermaßen hat der amerikanische Konsument von der „Verarmung“ der USA profitiert: er konnte quasi unbegrenzt Luxusautos in Deutschland und Billigprodukte in Asien kaufen. Anfang der 1970er Jahre sagte ein amerikanischer Kollege zu mir: „Wenn die Japaner 18 Stunden am Tag arbeiten wollen und damit zufrieden sind, dass wir ihnen für ihre Produkte Schuldscheine geben, dann soll mir das recht sein!“ Die Luxusautos in der Garage und die Billigprodukte im Warenhaus sind greifbar; die Nettoauslandsverschuldung ist es nicht. Sie ist für den Konsumenten und Bürger abstrakt.
Für die Volkswirtschaft insgesamt ist die Nettoauslandsverschuldung nicht ganz so abstrakt. Wenn eine Volkswirtschaft über Jahrzehnte hinweg grenzüberschreitend über ihre Verhältnisse lebt (Leistungsbilanzdefizite), dann wird früher oder später die Währung des Landes gegenüber anderen Währungen dramatisch an Wert verlieren. Zumindest in der Theorie. In der Praxis gilt das für den Dollar bestenfalls eingeschränkt, weil die USA das „exorbitant privilege“ (Valerie Giscard D’Estaing in den 1960er Jahren) genießen, die Währung, in der sie ihre Auslandsschulden haben, selbst drucken zu können und dass diese Währung auch die wichtigste Reservewährung der Welt ist. Der Anpassungsmechanismus des Wechselkurses hat also beim Dollar in den letzten Jahrzehnten nicht wirklich funktioniert.
Daraus hat sich in den letzten Jahrzehnten folgendes System (Zyniker nennen es das größte Pyramidenspiel der Geschichte) entwickelt: die US Volkswirtschaft lebte grenzüberschreitend weit über ihre Verhältnisse und verzeichnete Defizite mit dem Rest der Welt; der Rest der Welt häufte Überschüsse mit den USA in Dollar an und die Wall Street entwickelte die Anlageprodukte, um diese Dollar wieder in die USA zurückzuholen. An und für sich ein Spiel, bei dem alle zu gewinnen schienen. Nur halt ein System, das auf unbeschränkte Dauer nicht gut funktionieren kann, vor allem dann, wenn sich die Ungleichgewichte ständig in die gleiche Richtung verstärken: das Gläubigerland USA verschuldet sich immer mehr gegenüber dem Rest der Welt und der Rest der Welt erhöht in gleichem Ausmaß seine Forderungen an die USA. Die steigende Nettoverschuldung der USA erhöht die Zinsen/Dividenden, die die USA jährlich ins Ausland überweisen müssen und dies wiederum belastet die Leistungsbilanz. Ein Teufelskreis.
Hat sich nun der Rest der Welt an den USA bereichert?
Der Ausdruck „Bereicherung“ unterstellt, dass sich Dritte zu einer Art Verschwörung zusammengeschlossen haben, um die USA zu schädigen. Man kann sicherlich einzelnen Ländern vorwerfen, dass sie zeitweise Rahmenbedingungen geschaffen haben, die ihren jeweiligen Volkswirtschaften merkantilistische Vorteile verschafften (deutsche Lohnzurückhaltung, chinesische Währungspolitik, unterschiedliche Zölle und sonstige Handelsbarrieren). Man kann aber deutschen Unternehmen (und den Unternehmen anderer Länder) nicht vorwerfen, dass sie ihre Produkte dort verkaufen, wo sie Abnehmer finden. Solange die USA das „exorbitant privilege“ haben, grenzenlos im Ausland einkaufen zu können, wird es ausländische Unternehmen geben, die versuchen, grenzenlos in den USA zu verkaufen.
Der US Präsident hat in der Tat mit dem Thema Leistungsbilanzen einen wunden Punkt in der globalen Wirtschaftsordnung getroffen: die globalen Ungleichgewichte, die sich aufgrund der globalen Wirtschaftsordnung ergeben haben, können auf Dauer nicht unbeschränkt und einseitig weiterwachsen. Das Dogma des freien Handels mit Produkten und Dienstleistungen muss mit einer Fußnote versehen werden: globaler Freihandel muss über längere Zeiträume hinweg ausgeglichen sein, wenn er zu einer nachhaltigen Wohlstandsvermehrung führen soll. Es ist nicht wirklich verständlich, weshalb der Rest der Welt die Gefahr, die von diesen Ungleichgewichten ausgeht, nicht erkennen will. Massive Ungleichgewichte bei Leistungsbilanzen sind eine Gefahr für beide Seiten: für die Defizitler, weil sie sich immer mehr gegenüber dem Rest der Welt verschulden, aber auch für die Überschüssler, weil sie die Defizitler in immer größerem Ausmaß finanzieren müssen.
Als 1944 in Bretton Woods eine neue globale Währungsordnung geschaffen wurde, prallten 2 unterschiedliche Sichtweisen aufeinander und beide betrafen im Kern die Leistungsbilanzen. Der amerikanische Delegationsleiter Harry Dexter White wollte den USD als globale Ankerwährung und die USD/Gold-Koppelung sollte sicherstellen, dass es zu keinen Ungleichgewichten kommen würde. Natürlich sollte auf diese Weise auch die Dominanz der USA und des USD sichergestellt werden. Der britische Delegationsleiter John Maynard Keynes traute diesem System nicht, weil er befürchtete, dass die USA auf Dauer Ungleichgewichte nicht verhindern können würden. Der Vorschlag von Keynes war, eine neue Reservewährung („Bancor“) zu schaffen, die einen Automatismus für den Ausgleich von Überschüssen/Defiziten schaffen sollte. Damit wäre es nie zu einem „exorbitant privilege“ der USA gekommen. Durchgesetzt hat sich White und nicht Keynes.
Am 15. August 1971, keine 30 Jahre nach Bretton Woods, bekam Keynes posthum Recht: Präsident Nixon schockierte die Welt mit der Ankündigung, die USD/Gold-Koppelung aufzugeben und öffnete damit das Tor für ein massives Über-die-Verhältnisse-Leben der US Volkswirtschaft in den Folgejahrzehnten. Es hat sehr lange gedauert, bis jetzt ein amerikanischer Präsident erkannt hat, dass das massive Über-die-Verhältnisse-Leben der US Volkswirtschaft unvermeidlich zu einer „Bereicherung“ des Restes der Welt gegenüber den USA führen musste. Die damalige Wortwahl von Präsident Nixon in seiner Fernsehansprache erinnert sehr stark an die heutige Wortwahl von Präsident Trump („America first!“).
Alles deutet darauf hin, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. Allerdings nicht, weil mit Donald Trump ein unberechenbarer Präsident ins Weiße Haus eingezogen ist, sondern weil sich über die Jahrzehnte globale Ungleichgewichte zu Lasten der USA ergeben haben, die ein berechnender Präsident nicht mehr akzeptieren will. Die Frage ist, wie lange es dauern wird, bis ALLE erkennen, dass dies ein gemeinsames Problem ist, das nur gemeinsam erfolgreich gelöst werden kann. Möglicherweise nur mit einem Bretton Woods II.
Originalveröffentlichung hier.
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