Mittwoch, 29. Januar 2014

Wie solide ist eigentlich die Schweizerische Nationalbank noch?

Einige Schweizer Finanzkommentatoren säen zunehmend Misstrauen in die Schweizer Nationalbank (SNB). Begründung: in Folge der CHF-Kursbegrenzungsmassnahmen hat die SNB in ihrer Bilanz ein enormes Fremdwährungsrisiko aufgebaut. Bei Gesamtaktiva von rund 500 Mrd.CHF machen die Fremdwährungsaktiva den Gegenwert von rund 445 Mrd.CHF aus. Anders ausgedrückt: fast 90% der Bilanzsumme bzw. mehr als das 40-fache des SNB-Eigenkapitals sind dem Währungsrisiko ausgesetzt. Für dieses Risiko sind rund 50 Mrd.CHF an Rückstellungen gebildet; das sind rund 10%. Sollte der CHF um 10% aufwerten, dann sind diese Rückstellungen verbraucht. Sollte er um 20% aufwerten, dann ist das Eigenkapital der SNB vernichtet.

Darüber hinaus hält die SNB Goldreserven im Gegenwert von rund 40 Mrd.CHF, für die es keine Bewertungsrückstellungen gibt. Im Jahr 2013 musste die SNB dieses Gold um 15 Mrd.CHF abwerten und einen Bilanzverlust von 9 Mrd.CHF ausweisen. Es geht also bei der SNB primär um ein Bewertungsrisiko. Klassische Notenbanken sind diesem Risiko weniger ausgesetzt, weil klassische Notenbanken nicht der allgemeinen Rechnungslegung unterliegen. Stattdessen wird die Rechnungslegung im jeweiligen Notenbankgesetz festgelegt. Die EZB ist beispielsweise eine klassische Notenbank: ihre Statuten erfordern kein Mindesteigenkapital. Aus rein ökonomischer Sicht könnte die EZB mit einem negativen Eigenkapital problemlos weiter operieren. Sie kann nicht illiquide oder insolvent werden (weil sie Euros drucken kann und weil sie kein positives Eigenkapital benötigt). Das Schweizer Notenbankgesetz schreibt vor, dass die SNB ihre Bilanz „nach den Vorschriften des Aktienrechtes sowie nach allgemein anerkannten Grundsätzen der Rechnungslegung erstellt“. Gemäß Aktienrecht muss ein Unternehmen bei negativem Eigenkapital Insolvenz anmelden.

Das Eigenkapital der SNB betrug Ende 2012 rund 10 Mrd.CHF (für 2013 gibt es noch keine Bilanz, es ist jedoch davon auszugehen, dass der Bilanzverlust das Eigenkapital stark reduziert hat). Schweizer Panikmacher sehen ein Szenario, wo die SNB ihre Wechselkursstrategie aufgeben muss; wo der CHF gegen den Euro auf 1:1 steigt; und wo möglicherweise auch noch der Goldpreis sinkt. In diesem Szenario wäre das Eigenkapital der SNB rasch verbraucht.

Es ist natürlich unvorstellbar, dass die Eidgenossenschaft ihre Notenbank ‚fallen lassen‘ würde. Allerdings gäbe es im Falle eines Falles erschwerende Umstände. Die SNB ist nicht im Besitz der Eidgenossenschaft: 40% sind im Besitz privater Aktionäre und 60% werden von Kantonen und Kantonalbanken gehalten. Eine Rekapitalisierung der SNB seitens der Eidgenossenschaft würde diese Eigentümer weitestgehend verwässern. Darüber hinaus würde eine Rekapitalisierung die Grenzen der Schweizer Schuldenbremse testen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Schweizer Volkswirtschaft sicherlich stark genug ist, um auch größere Finanzschocks wie z. B. eine notwendige Rekapitalisierung der SNB zu verkraften. Allerdings beweist der Umstand, dass überhaupt über eine mögliche Insolvenz der SNB nachgedacht wird, wie instabil das Vertrauen in die Finanzmärkte geworden ist.

Originalveröffentlichung hier.

10 Kommentare:

  1. Ja das ist die traurige Bilanz einer traurigen Entwicklung. Die Massnahme ist innenpolitisch stark umstritten und könnte sehr teuer zu stehen kommen.

    Aber was sollte die SNB sonst machen? Ein drastischer Kursanstieg hätte für viele Exportfirmen das Aus bedeutet...

    H. Trickler

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    1. Eines der großen Wunder der Schweiz ist, dass der CHF um rund 25% aufgewertet hat und die Exporte - nach einer nur sehr kurzen Abschwächung - nach wie vor wieder auf Rekordkurs sind. Risiko für die Exportwirtschaft? Von wegen, sagt ein Zürcher Blogger. Der starke CHF bedeutet doch nur - in seiner Sicht der Dinge - dass die Nachfrage nach guten Schweizer Produkten sehr hoch ist und das ist ein großes Qualitätssiegel für die Schweiz. Tja, die Sorgen der Schweiz müsste man haben...

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    2. Die von der SNB akzeptierte Aufwertung war hart an der Grenze des für die Exportwirtschaft erträglichen Limits und insbesondere für die kleineren Firmen welche selber nur wenig importieren sehr schwierig!
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      Schade dass Sie auf die Frage was die SNB sonst machen könnte leider nicht eingegangen sind.
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      Ohne das abgewandelte alte Sprichwort "Lerne zu klagen ohne zu leiden" zu sehr in Anspruch zu nehmen: Sie sehen die Situation der Schweiz vermutlich zu positiv.

      H.Trickler

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    3. Was die SNB sonst noch hätte machen können? Wahrscheinlich nichts anderes, als den CHF weiter steigen zu lassen in der Überzeugung, dass irgendwann einmal bei den Marktteilnehmern Vernunft einsetzt. Wieviele Schweizer Firmen bis dahin pleite gegangen wären, kann ich nicht sagen. Aber eines muss man schon sagen: den Schaden der Pleiten hätten man auf der Stelle messen können. Es ist noch lange nicht gesagt, dass aus den Kursstützungsmassnahmen nicht auch einmal ein Schaden entsteht; dann aber ein viel größerer. Bis jetzt hat die Strategie in dem Sinn funktioniert, dass sie als Abschreckung funktioniert hat. Soweit ich weiß, musste die SNB schon seit fast 2 Jahren ihre Devisenpositionen nicht mehr erhöhen. Gewissermaßen ein "whatever it takes"-Effekt. Sollte jedoch die Finanzkrise zurückkehren und sollten sich Großinvestoren auf den CHF 'einschiessen', dann könnte die SNB in die Lage kommen, zwischen Pest und Cholera entscheiden zu müssen.

      PS: vielleicht wäre es besser, solche Diskussionen bei OrtnerOnline zu führen, weil dort die Leserschaft viel größer ist (und die Durchschnittqualität der Kommentare dort würde dramatisch steigen...).

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  2. Soweit ich als Laie weiss sind diese riskanten Positionen der SNB auch in den letzten zwei Jahren weiterhin gestiegen. Den helvetischen Währungshütern fehlt Gabe des Pokerfaces Draghi oder sonst eine entscheidende Eigenschaft....

    H. Trickler


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    1. Auf Seite 4 des ersten Links sehen Sie die Entwicklung der Devisenanlagen. Bis 2009 waren sie, teilweise sehr deutlich, unter 100 Mrd.CHF. Ende 2012 waren sie 432 Mrd.CHF und seither sind sie kaum mehr gestiegen. Im zweiten Link sehen Sie, dass Ende 2012 für diese Devisenanlagen 48 Mrd.CHF an Rückstellungen (für allfällige Abwertungen) gebildet wurden. Interessanterweise wurden diese Rückstellungen nicht erst mit der Ausweitung der Devisenanlagen gebildet, sondern sie waren schon seit vielen Jahren so hoch. Mit anderen Worten, die SNB hat ihre Devisenanlagen massiv erhöht, die Risikorückstellungen jedoch nicht angepasst. Für Goldabwertungen sehe ich in der Bilanz überhaupt keine Rückstellungen, Wenn also das Gold, wie 2013, um 15 Mrd.CHF abwertet, dann fällt dieser Betrag direkt durch zur Bottomline. 2013 konnte die SNB diesen Verlust mit anderen Erträgen teilweise kompensieren, aber soweit ich mich erinnere, war der Jahresverlust immer noch 7 Mrd.CHF. Wenn man das mit Eigenmitteln von 10 Mrd.CHF vergleich, dann kommen einem interessante Gedanken... Insbesondere, wo die SNB - anders als eine normale Notenbank - nach dem allgemeinen Aktienrecht bilanzieren muss, wo ein negatives Eigenkapital automatisch die Insolvenz bedeutet. Natürlich könnte die Regierung mit einem einfachen neuen Notenbankgesetz festlegen, dass die SNB nicht nach Aktienrecht bilanzieren muss und kein positives Eigenkapital benötigt, aber eine Aufregung würde dies auf jeden Fall verursachen. Andernfalls müsste Eigenkapital nachgeschossen werden. Da muss man wieder berücksichtigen, wer die Eigentümer sind (60% Kantone und Kantonalbanken; 40% Private). Verfügen diese Eigentümer über ausreichende Ressourcen, um - sagen wir mal - lockere 10-20 Mrd.CHF nachzuschießen?

      http://www.snb.ch/ext/stats/balsnb/pdf/defr/Bilanz_der_SNB.book.pdf
      http://www.snb.ch/de/iabout/snb/annacc/id/snb_annac_balance

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    2. Vielen Dank für Ihre interessanten Erläuterung und Links. Beim Lesen solcher Bilanzen wird mir als Laie dieses Gebiets immer ganz anders ;)

      In den Jahren mit steigendem Goldpreis wurde der Gewinn der SNB an den Bund und die Kantone verteilt, als Selbstverständlichkeit hingenommen und zur Deckung der Kosten sogleich verwendet. Als der Preis dann sank gab es ein grosses Wehklagen in Politik und Presse...

      Ich bin schon lange der Meinung, dass das Gold in der SNB-Bilanz immer zu einem konservativen Wert eingestellt werden sollte, so dass man allfällige Gewinne nicht ausschüttet bevor die Wahrscheinlichkeit des Preisrückgangs unter den Buchwert genügend klein geworden ist.

      Die Reserven auf Fremdwährungen sind angesichts der Unsicherheiten des Euros bestimmt viel zu knapp und ich wundere mich immer wieder, warum solche Bilanzen nicht als kriminell gelten?

      H. Trickler

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    3. Die Struktur der SNB erscheint mir, wie das oft so vorkommt, ein Ergebnis von 'gewachsenen Strukturen' zu sein. Würde man die SNB heute neu erfinden, würde man sie sicherlich so strukturieren, wie eine Notenbank mit einer Landeswährung strukturiert sein muss: eine Körperschaft öffentlichen Rechtes (damit Unabhängigkeit gewährleistet ist), basierend auf einem Notenbankgesetz, das klarstellt, dass die Notenbank eine Angelegenheit der Eidgenossenschaft (und nicht irgendwelcher Eigentümer) ist. Und dass diese Notenbank mit einem Eigenkapital ausgestattet ist; Punkt. Kein Mindesteigenkapital, keine Nachschusspflicht; keine Überschuldungsmöglichkeit. Die Eidgenossenschaft haftet ex lege mit allem ihrem Vermögen (und jenem der Steuerzahler) für die Notenbank.

      Eine solche Notenbank kann in ihrer Landeswährung NIE illiquide werden (weil sie selbst die Währung druckt) und auch nicht insolvent (weil sie kein Eigenkapitalerfordernis hat). Kurz: wie die Fed oder die EZB. Die SNB hingegen kann zwar auch nicht illiquide werden, sie könnte jedoch - de jure - insolvent werden, wenn sie ihr Eigenkapital verbraucht. Ein solches Risiko sollte KEINE Notenbank tragen, und zwar nicht nur im Sinne der Notenbank, sondern vor allem im Sinne der Eidgenossenschaft.

      Beachten Sie, bitte, dass zwar die EZB weder illiquide noch insolvent werden kann, ihre Eigentümer jedoch schon (die nationalen Notenbanken der Eurozone). Warum? Weil keine dieser nationalen Notenbanken Euros drucken kann. Sollten einer Bundesbank oder OeNB einmal die Euros ausgehen, dann ist Ende der Fahnenstange.

      Das ändert jedoch nichts an den Risiken aus der Geschäftspolitik einer Notenbank. Wenn eine SNB über 90% ihrer Aktiva in Fremdwährungen hält (das sind mehr als 2/3 des Schweizer Nationalproduktes), dann ist das ein massives Risiko für die SNB und für die Eidgenossenschaft. Nur: wenn die SNB 'richtig' strukturiert wäre, dann könnte dieses Risiko im Ernstfall einer dramatischen Abwertung nicht so schnell Probleme verursachen. Dann könnte die SNB locker mit einem negativen Eigenkapital ganz normal weiter funktionieren. Schwer zu glauben, aber so ist es. Würde die Fed alle ihre Schrottpapiere auf Marktwerte adjustieren, dann hätte sie auch rasch ein negatives Eigenkapital (detto für die EZB, deren formelles Eigenkapital nur ca. 10 Mrd.EUR ist). Beide könnten jedoch problemlos weiterfunktionieren.

      Wie ich schon gesagt habe, ich sehe die SNB zwischen Pest und Cholera und per heute kann man nicht sagen, welche von beiden die gefährlichere Krankheit ist.

      Lassen Sie mich jetzt noch einen Gang höher schalten, um Ihr Vertrauen in das Finanzsystem wirklich zu ramponieren. Die US Regierung finanziert ihr Defizit dadurch, dass sie Treasuries an Investoren verkauft. Soweit, so gut. Aber wer kauft diese Treasuries? Japan? Deutschland? China? Sicherlich auch, ABER: der größte Käufer dieser Treasuries ist schon seit langem die Fed. Die Fed ist heute relativ deutlich der größte Gläubiger der USA. Leute wie Paul Krugman sehen darin überhaupt kein Problem. Sie sagen: die USA sind der Staat und die Fed ist der Staat. Die USA schulden der Fed und die Fed hat Forderungen an die USA. Nachdem beide der Staat sind, sollte man beide konsolidiert betrachten und dann heben sich Forderungen gegen Verbindlichkeiten auf. Wir schulden uns selbst das Geld. Technisch korrekt, ABER: es ist das Problem der Taschen. Das Geld, das in eine Tasche gegeben wird, wird aus einer anderen Tasche genommen. Unter'm Strich ein Nettoergebnis, aber die Gebertasche wird sich nicht so sehr freuen wie die Nehmertasche.

      Wenn Sie wirklich in Panik über die Schweiz und die SNB verfallen wollen, dann empfehle ich Ihnen den Blog "Inside Paradeplatz". Da beschreibt ein gewisser Dr. Meyer bevorstehende Weltuntergangsszenarien für die Schweiz. Das Problem ist nur, dass er in vielen Punkten recht hat. Leider leidet er m. E. etwas unter einem unbefriedigten Anerkennungsbedürfnis, wodurch manche seiner Argumente extrem provokant werden (und auch falsch sind).

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    4. Hier sind Artikel von Dr. Meyer:

      http://insideparadeplatz.ch/?s=Meyer&submit.x=-593&submit.y=-298

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    5. Vielen Dank für den Link. Das ist echt "dicke Post". Allerdings fühle ich mich nicht in der Lage, in den Diskussionen dort zu entscheiden, wer Recht hat und wer nicht.
      H.Trickler

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