Dienstag, 19. November 2019

CASAG: Was faul ist im Staate Österreich

Bei der Welser Messe 1980 prägte der damalige Bundespräsident Kirchschläger den Ausdruck der “Sümpfe und sauren Wiesen”. Die Eliten Österreichs gaben sich schockiert, aber einsichtig und gelobten Besserung. Im Jahr 1997 beging der damalige Vorstandsvorsitzende der Kontrollbank, Gerhard Praschalk, Selbstmord. Die Medien berichteten von einer problematischen Persönlichkeitsstruktur, die eine Kränkung nicht überwinden konnte. Die Kränkung bestand darin, dass Praschalk seinen Job an den scheidenden Minister Scholten abtreten sollte (allerdings im Tausch gegen einen anderen hoch dotierten Job). Vor seinem Selbstmord verfaßte Praschalk eine 120-seitige Dokumentation über Postenschacher, politischen Druck und andere unappetitliche Dinge im “System Österreich”. U. a. habe ihn der scheidende Minister Scholten zur Einsicht gedrängt und ihn ermahnt, er sollte doch realistisch werden. Zitat von Scholten (laut Praschalk): “Anderswo mag Können über Karriere entscheiden. In Österreich ist es politischer Druck!”

Im gleichen Jahr startete die EU-Kommission eine Untersuchung des sogenannten Lombard Clubs. Der Lombard Club bezog sich auf ein monatliches Treffen führender Banker Österreichs im Hotel Bristol, eine Usance, die auf die 1950er Jahre zurückging und die der Öffentlichkeit wohl bekannt war. Nach ‘Sitzungen’ des Lombard Clubs berichteten die Zeitungen in der Regel “…bei der gestrigen Sitzung des Lombard Clubs wurde beschlossen…”. Die EU-Kommission urteilte 2002, dass der Lombard Club ein Zinskartell war und verfügte Strafen in Höhe von (damals) 125 Mio. EUR. Österreich gab sich geschockt, dass so etwas Unrechtliches wie der Lombard Club in Österreich existieren konnte.

Postenschacher verbunden mit Gegenleistungen und sonstige Unsittlichkeiten waren/sind allgemeiner Bestandteil der politischen (Un-)kultur der 2. Republik. Jetzt so zu tun, als wäre der CASAG Fall ein in der 2. Republik einzigartiger Skandal ist eine Scheinheiligkeit größten Ausmaßes. Das Gegenteil trifft zu: der CASAG Fall ist ein klassisches Beispiel davon, was faul ist im Staate Österreich.

Ich glaube, dass die Medien einen großen Beitrag leisten könnten, wenn sie die jetzigen Skandale in die richtige Perspektive bringen würden. Niemandem ist geholfen, wenn aus Bekehrten Fanatiker werden. Die richtige Perspektive wäre aus meiner Sicht, die Öffentlichkeit aufzuklären, dass sich über die Jahre hinweg in Österreich Sümpfe und saure Wiesen entwickelt haben. Dass sogar ein Bundespräsident einmal darauf hingewiesen hat, allerdings ohne Erfolg. Und dass der jetzige Skandal eine Art ‚good news – bad news‘ ist. Die schlechte Nachricht ist, dass da offenbar wirklich ein handfester Skandal passiert ist (mit möglichen strafrechtlichen Vergehen). Die gute Nachricht ist, dass man diesen Skandal vielleicht doch jetzt zum Anlass nehmen wird, die Sümpfe und sauren Wiesen auszutrocknen mit der ehrlichen Erkenntnis, dass in der Vergangenheit fast alle gemeinsam durch die Sümpfe und sauren Wiesen gewandert sind.

Originalveröffentlichung hier.

Sonntag, 5. Mai 2019

Armin Wolf Hat Sich Selbst Pragmatisiert

Am 24. April kam es während eines Interviews, das Armin Wolf in der ZIB2 mit dem Generalsekretär der FPÖ (und Spitzenkandidaten für die EU-Wahl am 26. Mai) Harald Vilimsky führte, zu einem Eklat. Wolf überraschte Vilimsky mit einem Bildervergleich: einerseits ein rassistisch motiviertes Bild aus einem Flyer einer FPÖ Jugendorganisation, andererseits ein rassistisches Bild aus der ehemaligen Nazi-Zeitschrift "Stürmer". Vilimsky reagierte auf diesen Vergleich mit folgendem, folgenschwerem Satz: "Indem Sie hier vom 'Stürmer' ein Bild nehmen, das gegenüber einem Jugendplakat gegenüber stellen und den Eindruck erwecken, dass wir in der Nähe des Nationalsozialismus wären … ist etwas, das nicht ohne Folgen bleiben kann.

Dass der erste Teil dieses Satzes durchaus seine Berechtigung hat, wurde überschattet vom zweiten Teil: die 'Folgen', die Vilimsky anspricht, können nur dahingehend interpretiert werden, dass es sich um einen politischen Aufruf handelt, einen kritischen Journalisten aus dem ORF zu entfernen. Es steht außer Frage, dass eine solche Konsequenz den Tatbestand der Einschränkung der Pressefreiheit erfüllen würde.

Selten hat ein TV-Interview ein so enormes nationales  und - vor allem! - internationales Echo hervorgerufen wie dieses. Wolf hat das internationale Medienecho in einem Blogpost zusammengefaßt.

Aus der Ecke der üblichen Verdächtigen häuften sich Aufrufe, Wolf aus dem ORF zu entfernen, d. h. seinen Dienstvertrag aufzulösen. Selbst der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrates (und ehemaliger FPÖ-Chef) Norbert Steger ließ sich in einem Interview zu der Äußerung hinreißen, dass - wenn er Herr Wolf wäre - "ich ein Sabbatical nehmen, auf Gebührenzahler-Kosten durch die Welt fahren und mich neu erfinden würde."

Zweifelsfreies Ergebnis dieser erzeugten Aufregung ist, dass als direkte Konsequenz derselben Wolf's Arbeitsplatz auf Dauer abgesichert ist bzw. dass sich Wolf mit Provokationen obiger Art de fakto selbst pragmatisiert hat. Jegliche Einschränkung seiner Freiheiten (von einer 'Entfernung' aus dem ORF ganz zu schweigen) würde national und international als Anfang vom Ende der Pressefreiheit in Österreich interpretiert werden. Diesem Vorwurf wird sich die österreichische Bundesregierung sicherlich - und zu Recht - nicht aussetzen.

Sollte Wolf aus dem ORF entfernt werden? Mit Sicherheit nicht! Wolf ist ein hervorragender Journalist, der sich auf seine Auftritte minutiös und mit großer Recherche vorbereitet und der Interviews mit großem Geschick führt. Ganz abgesehen davon, dass Wolf sicherlich auch für gute Quoten seines Programms sorgt. Eine Entfernung von Wolf wäre in der Tat ein Verlust für den ORF und auch für seine Zuseher. In einem 'normalen' Unternehmen würde allerdings die Geschäftsführung ein sogenanntes 'Mitarbeitergespräch' mit Wolf führen.

Ein solches Mitarbeitergespräch müßte darauf abzielen, Wolf Rückmeldung zu geben, wie er von vielen wahrgenommen wird. Bei Wolf kann rasch der Eindruck entstehen, dass es ihm bei Interviews nicht primär um seinen Gesprächspartner geht, sondern um sich selbst (vor allem dann, wenn er den Gesprächspartner aufs Glatteis führen will). Es kann sogar der Eindruck entstehen, dass es ihm bei gewissen Gesprächspartnern in erster Linie darum geht, sie aufs Glatteis zu führen (Vlimsky wäre ein passendes Beispiel; Putin auch). Wolf scheut vor Provokationen nicht zurück, wohl wissend, dass Provokationen auch polarisieren. Auf diese Weise kommt es vor, dass ein Journalist zum Superstar hochgehievt wird (Wolf wurde vielerorts bereits 'Superstar des ORF' genannt). Die wenigsten sind gegenüber Superstars neutral: Superstars werden in der Regel entweder bewundert oder kritisiert (bzw. beneidet), nicht nur vom Publikum im allgemeinen, sondern oft auch in den eigenen Reihen. Es wäre durchaus vorstellbar, dass Wolf's Verhalten nicht unbedingt in allen Bereichen des ORF auf Zustimmung stößt, dass es möglicherweise sogar intern spaltet.

Man könnte Wolf empfehlen, sich mit seiner Kollegin Lou Lorenz-Dittlbacher zu vergleichen. Lorenz-Dittlbacher steht Wolf als Journalistin und Interviewerin um nichts nach. Auch sie bereitet sich minutiös und mit großer Recherche vor und ihre Fragestellung bei Interviews ist hervorragend. Wo liegt der Unterschied? Bei Lorenz-Dittlbacher wird nachher nicht über sie diskutiert, sondern über Ihre Gesprächspartner.

Manche werfen Wolf vor, dass er eitel ist. Dieser Vorwurf geht ins Leere bzw. ist ein Widerspruch in sich selbst. Ein gewisses Ausmaß an Eitelkeit ist Voraussetzung für den Erfolg in einer Rolle wie jener von Wolf. Mag sein, dass Wolf etwas zu eitel ist, aber auch dies könnte man in einem Mitarbeitergespräch entspannt ausdiskutieren.

Für private Medienunternehmen mag es sicherlich erfolgversprechend sein, einzelne Programme zu personifizieren. CNN hat z. B. Shows, die nach Personen benannt sind: "Amanpour" (nach Christiane Amanpour), "Quest mean business" (nach Richard Quest), "Anderson Cooper 360" (nach Anderson Cooper), etc. Dieser Logik folgend könnte man den Namen der ZIB2 beispielsweise auf "Nachrichten mit Armin Wolf" umändern. Das würde Wolf's selbst-zentriertem Auftritt entsprechen.

Die Frage ist, ob ein öffentlich rechtlicher Rundfunk wie der ORF eine Erscheinungsbild wie private Medienunternehmen aufbauen sollte. Wahrscheinlich würde es besser zum ORF passen, immer die Sache in den Mittelpunkt zu stellen und weniger die Person.